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1. Mai 2005 · von H.R.

Rehwild – Setzzeit und Kinderstube

Geburt und erste Lebenswochen

Nach 41/2-monatiger Eiruhe und nach einer Tragzeit von 276-295 Tagen setzt die Rehgeiß im Mai/Juni 1-2 vollentwickelte Kitze von ca. 1 kg Gewicht
Rehwild – Setzzeit und Kinderstube

Geburt und erste Lebenswochen: In der letzten Zeit kurz vor dem Setzen gebärden sich die Geißen äußerst unruhig und irrlichtern in ihren Einständen herum. Es scheint, als seien sie auf der Suche nach einem idealen Standort, um sich ihrer kostbaren Fracht zu entledigen. Diverse Beobachter berichten, dass die Allantois (embryonale Harnsack) mit den Schneidezähnen aufgerissen wird.

Wenn die Wehen einsetzen, bettet sich die Geiß seitlich auf den Boden, versteift die gestreckten Läufe beim Pressen und schließt die Lichter. Seltener setzen Ricken stehend, wobei sie die Hinterläufe leicht grätschen und im letzten Moment der Geburt anwinkeln, um den Sturz der Frucht zu mildern. Die eigentliche Austreibungsphase dauert von einer halben bis zu eineinhalb Stunden und dürfte davon abhängen, ob es sich um erstgebärende oder ältere Tiere und um das 1. oder das 2. Kitz handelt. Solange sich die Frucht noch nicht vollständig in den Geburtskanal vorgeschoben hat, kann der Vorgang offenbar bei Gefahr unterbrochen werden. Deshalb wählt die Geiß den Setzort erst nach gewissenhafter Prüfung, weil sie während der Geburt allfälligen Feinden weitgehend schutzlos ausgeliefert ist.

Dass Zwillinge in den ersten zwei Wochen nicht beisammen bleiben, gehört zum angeborenen Verhalten und ist durchaus sinnvoll. Derart verringert sich die Chance für einen Beutegreifer, gleich beide Kitze zu finden. Geschwister lernen sich erst kennen, wenn sie von ihrer Mutter zusammengeführt werden. Bis dahin sucht die unter Wind abseits ruhende oder zur Äsung ziehende Geiß ihre Sprösslinge in regelmäßigen Abständen zum Säugen auf, herbeigerufen durch leise Kontaktlaute. Leistet sie der Aufforderung keine Folge, werden schrillere klingende Saiten aufgezogen. Das penetrante Fiepen der Hungrigen lockt nicht immer nur die Milchspenderin auf den Plan.

Im Allgemeinen figurieren Kitze nicht häufig auf dem Speisezettel der roten Räuber. Sie verströmen nur wenig Eigengeruch, sind in ihrem getupften Kleid schwer auszumachen, insbesondere, wenn sie, wie es der Art entspricht, stundenlang unbeweglich im Verborgenen liegen bleiben. Selbst ein abgebrühter Schleichjäger weiß um die verheerende Wirkung der auf ihn eintrommelnden scharfkantigen Schalen einer erbosten Rehmutter, sollte er ihren Jungtieren allzunahe auf den Pelz rücken. Am Haarkleid haftende Milchreste, Kot- und Urinspuren an den Liegeplätzen und im Fell verleihen den Kitzen, deren Duftdrüsen noch nicht aktiv sind, einen dem Muttertier kenntlichen Individualgeruch. Wahrscheinlich dienen neben akustischen auch optische Erkennungsmerkmale, wie die Fellzeichnung und Färbung, dem wachsenden Zusammenhalt zwischen Mutter und Kind. Diese Bindung ist für das Wohlergehen des Nachwuchses wichtig und verhindert Verwechslungen mit demjenigen anderer Geißen etwa ab drei bis fünf Wochen nach der Geburt.

Wer verschiedene neugeborene Rehzwillinge genauer studiert, wird bald einmal feststellen, dass die Geschwister selten dieselbe Färbung aufweisen, dass vielmehr das eine heller, das andere dunkler ist. Mit länger werdendem Haarkleid verwischen sich diese Unterschiede. Das typische individuelle Fleckenmuster dient bis zu seinem allmählichen Verblassen gleichsam als Identitätsausweis.

Obwohl Kitze anfänglich vor allem liegen, sind sie nach zwei, drei Tagen schon sehr sicher auf ihren überlangen Gehwerkzeugen und in der Lage, größere Strecken auch in rascher Gangart zurückzulegen. Werden sie von ihrer Mutter aufgesucht und gesäugt, versuchen sie bald, ihr anschliessend zu folgen. Manchmal drückt die Geiß ihre Sprösslinge sanft ins Gras oder entfernt sich rasch. Kitze trinken zu Beginn sechs- bis siebenmal täglich und nehmen dabei rund 800 g Milch auf. Beim Säugen massiert die Geiß mit der Zunge die ihr zugewendete Analgegend des Kitzes, was den Kotabsatz fördert. Es lässt sich beobachten, dass die Jungmannschaft bereits nach wenigen Tagen feste Nahrungsbestandteile, besonders Erde, aber auch Kot aufnimmt.

Nach etwa drei Wochen sind auch Grünpflanzen ein fester Bestandteil der Nahrung geworden, und die Kitze verbringen mehr und mehr Zeit in Gesellschaft ihrer Mutter. Fließt der weiße Nektar infolge mangelnder Äsung oder aus anderen Gründen nur spärlich, sind die Kitze schon früher gezwungen, ihre Energie aus pflanzlicher Nahrung zu schöpfen. Geführt von der Geiß lernen sie den Lebensraum und lauernde Gefahren kennen. Die Milchproduktion sinkt allmählich.

Vermehrt wehrt die Ricke ihre ans Euter drängenden Kitze ab und veranlasst sie so, sich an Grünäsung schadlos zu halten. Nach der Brunftzeit werden Kitze nur noch selten gesäugt. Meist wird dann das sogenannte Trostsäugen beobachtet, mit dem die Mutter ihren Nachwuchs nach einem überstandenen Schrecken beruhigt. In drollig anmutenden Lauf- und Kampfspielen erwerben die Kitze einen Teil ihres Rüstzeugs für das spätere Sich-Behaupten gegenüber Artgenossen. Dabei wird die wachsende Dominanz der Bockkitze über den weiblichen Nachwuchs immer deutlicher sichtbar.

Frühgesetzte Kitze, welche die ersten sechs Monate einigermaßen schadlos hinter sich bringen, haben gute Chancen, auch den Winter zu überstehen, solange ihnen die Mutter erhalten bleibt.

Einzel - und Mehrlingsgeburten: Für die Nachwuchsrate sind beim Rehwild mehrere Faktoren von Bedeutung. Sie ist sicher dichteabhängig, verringert sich also mit zunehmendem Bestand. Neben dem Gewicht spielt das durchschnittliche Alter, die Kondition und Konstitution der fortpflanzungsfähigen Geißen eine Rolle. Schmalrehe produzieren eine geringere Anzahl reifer Eizellen als ältere Tiere. Dasselbe gilt für untergewichtige oder abgekommene Stücke, z.B. infolge Parasitenbefalls, Krankheiten, hartem Winter, zu trockenem Frühsommer und generell schlechten Äsungsbedingungen (Fichtenforst) sowie Stress. So bringen Schmalrehe im dichtbesiedelten Mittelgebirge oft nur ein Kitz zur Welt, während sie in Populationen mit geringer Dichte, z.B. in Schweden oder in den Karpaten, Zwillinge setzten.

Für mehrjährige Ricken in guter Verfassung sind Zweiergeburten die Regel. Unter günstigen Voraussetzungen werden aber auch drei, selten vier Kitze gesetzt. Gemäss diverser Studien verschiebt sich bei hoher Dichte das Geschlechterverhältnis zugunsten der Bockkitze, wobei insbesondere bei spätsetzenden Ricken ein erhöhter Anteil an männlichen Nachkommen festzustellen ist. Der zu Grunde liegende physiologische Mechanismus ist unbekannt. Da außerdem Bockkitze bei der Geburt im Durchschnitt 9% schwerer sind als ihre Schwestern, ergattern sie bei gleichzeitigem Saugen mehr Milch. Sie sind deshalb weniger anfällig gegen eine fatale Unterkühlung, die in nasskalten Frühsommern zu hohen Verlusten in den ersten Lebenswochen führt.

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